James Newton Howard
Zwischen "King Kong" und Hans Zimmers Hausschuhen
James Newton Howard gehört zu den erfolgreichsten Komponisten Hollywoods und ist doch ein Pechvogel: Achtmal war er schon für den Oscar nominiert, immer ging er leer aus. Der US-Amerikaner hat unter anderem die Filmmusik geschrieben für "Die Tribute von Panem", "Pretty Woman", "King Kong", "Batman Begins","The Sixth Sense" sowie das Harry-Potter-Prequel "Phantastische Tierwesen und wo sie zu finden sind". Am 21. November startet in Berlin seine erste Deutschland-Tour, bei der Howard seine großen Kinomelodien live vorträgt. Im Gespräch erzählt der 66-Jährige, wie Elton John ihm die Karriere ermöglichte, wie er zufällig einen Nummer-Eins-Hit für Jennifer Lawrence schrieb und ob ihm die Lust auf Oscar-Verleihungen inzwischen vergangen ist.

AZ: Mr. Howard, in Hollywood sind Sie als Komponist bekannt, der verzweifelten Regisseuren in letzter Minute aus der Patsche hilft.

James Newton Howard: Das stimmt. Seit "King Kong", wo ich für Peter Jackson drei Stunden Musik in fünf Wochen geschrieben habe, ist es schon öfter vorgekommen, dass mich Regisseure in Torschlusspanik anriefen. Aber "King Kong" war schon eine Extrem-Situation. So etwas würde ich nie wieder machen - mein Körper und mein Kopf können das nicht wegstecken.

AZ: Unabhängig vom zeitlichen Rahmen - was brauchen Sie zum Komponieren?

Howard: Auf jeden Fall mein Studio in Santa Monica. Es ist seit 20 Jahren mein Heiligtum. Außerdem eine gute Geschichte mit großartigen Charakteren. Denn im Idealfall werde ich inspiriert von der Story und den Darstellern, von einer bestimmten Zeile, die der Schauspieler sagt, einem Gesichtsausdruck, einer Träne oder einem Moment des Triumphs. Aber leider bekommst du nicht immer das, was du erwartest. Du kannst das Drehbuch gelesen haben und den Regisseur und die Schauspieler kennen und denken: Das kann nur perfekt werden! Wenn du dann den Film siehst, ist es manchmal aber doch eher das Gegenteil von perfekt.

AZ: Und dann?

Howard: Du musst dann trotzdem so arbeiten, als würdest du es lieben! Aber es kostet dann mehr Energie. Ich versuche generell, jedes Projekt als Abenteuer oder Herausforderung zu sehen und bemühe mich, bei jedem Film eine neue Perspektive einzunehmen, damit die Musik weiterhin frisch klingt. Und die Angst vor der Deadline schwingt ja auch immer mit. Sie treibt mich an, damit ich morgens aus dem Bett steige. Aufschieben kann man sich in meinem Job nicht leisten.

AZ: Sie haben früher in Rock-Bands gespielt. Angeblich wollten Sie irgendwann schon alles hinschmeißen, doch dann lernten Sie 1975 Elton John kennen. Welche Bedeutung hat er für Sie?

Howard: Mein Leben hat sich durch Elton John dramatisch zum Besseren verändert! Es war ein bisschen so wie im Märchen von "Aschenputtel": Ich war das arme Kind, und plötzlich wurde ich auf den Ball gebeten und war in einem Raum mit Elton John. Elton war 27, ich 23. Er engagierte mich als Tour-Keyboarder, ließ mich an Songs mitschreiben. Er war unglaublich großzügig und hat mir so viel ermöglicht, unter anderem auch, mit Orchestern zu arbeiten.

AZ: Kreuzen sich Ihre Wege noch manchmal?

Howard: Klar. Wir arbeiten sogar ab und zu noch zusammen. Der Auftakt meiner Europatour ist in der Londoner Royal Albert Hall. Das letzte Mal, als ich dort war, war ich als Dirigent für Elton im Einsatz. Das ist zwölf Jahre her. Ich hätte mir damals nie träumen lassen, dass ich irgendwann am selben Ort meine eigene Musik auf die Bühne bringen werde. Wenn Elton in der Stadt ist, wird er hoffentlich vorbeikommen.

AZ: Wie kam es dazu, dass Sie schließlich bei der Filmmusik gelandet sind?

Howard: Auch das war eher Zufall. Ich habe mich nie darum bemüht, Filmkomponist zu werden. Bis ich 30 wurde, hatte ich nur wenig Musik geschrieben. Aber dann bot mir jemand einen Film an. Ich lehnte erst ab, überlegte es mir dann aber nochmal. Und als ich es ausprobierte, war es das Paradies für mich. Glücklicherweise bekam ich danach immer wieder Gelegenheiten, diesen Job auszuüben. Ich habe das nie als Selbstverständlichkeit gesehen. Denn dieses Glück kann schnell verschwinden. Oder wie mein Agent gerne sagt: "Du bist nur so gut wie deine letzte Arbeit."

AZ: Ihre Großmutter, eine Violinistin, soll Ihnen bereits die klassische Musik nähergebracht haben.

Howard: Ja, ich habe sie allerdings nie spielen gehört. Sie hatte die Geige aufgegeben, als ich zur Welt kam, und arbeitete als Köchin für Cole Porter. Aber sie besaß ein altes Piano, dass im Haus meiner Mutter stand. Ich habe klassischer Musik schon gelauscht, als ich zwei oder drei Jahre alt war - und ich liebte es. Ich war später in der Schule der romantische Typ, der Rachmaninow und Tschaikowski hörte. Ich höre den Einfluss ihrer wuchtigen Stücke heute in meiner eigenen Musik. Groß angelegte, schwungvolle Musik ist nun mal das, was ich liebe.

AZ: Achtmal waren Sie schon für den Oscar nominiert - nie haben Sie gewonnen. Gehen Sie überhaupt noch zur Preisverleihung?

Howard: Na klar, allein schon weil ich es toll finde, nominiert zu sein! Es wäre aber ein Fehler, sich zu sehr in die Idee eines Oscar-Gewinns hineinzusteigern und seinen Erfolg daran zu messen. Das habe ich am eigenen Leib erfahren: In der Nacht bevor die Nominierungen bekannt gegeben werden, konnte ich früher nie richtig schlafen. Denn du weißt, dass morgens um 5.00 Uhr dein Telefon klingeln und dir dein Agent sagen wird, ob es geklappt hat oder nicht. Das ist nervenaufreibend! Aber mittlerweile bin ich lässiger geworden. Der großartige Ennio Morricone kam auf 18 Oscar-Nominierungen, bevor er endlich einen gewann. Vielleicht brauche ich einfach noch ein bisschen Geduld.

AZ: Oscar-Gewinnerin Jennifer Lawrence haben Sie mit "The Hanging Tree" aus "Die Tribute von Panem" zu Ihrem ersten Single-Hit verholfen.

Howard: Es war auch mein erster Single-Hit! Das war ein glücklicher Zufall: Sie sang schon in der Szene des Films, als ich noch gar keine Musik geschrieben hatte. Der Regisseur Francis Lawrence bat mich dann, das Lied mit Musik zu unterlegen, die das Ganze zur Hymne anschwellen lässt. Also habe ich das gemacht.

AZ: War es für Sie ein Problem, dass Jennifer Lawrence eigentlich keine Sängerin ist?

Howard: Nein, ich liebe Jennifers Stimme! Aber Jennifer liebt ihre Stimme nicht. Sie meint immer, sie könne nicht singen. Aber das sahen die Radiosender, die plötzlich anfingen, das Lied zu spielen, offensichtlich anders. Ich selbst höre kein Radio. Aber irgendwann rief mich Elton John an und sagte: "Glückwunsch, ich höre dein Lied überall, du hast einen fetten Hit gelandet!" Der Erfolg war für mich Überraschung und Schock zugleich.

AZ: Hatten Sie das Gefühl, dass Sie durch "Die Tribute von Panem" auch junge Menschen für Orchester-Musik begeistern konnten?

Howard: Definitiv. Klassik steht zwar für sich, aber Filmmusik ist eine gute Brücke zwischen populärer und klassischer Musik. Und wenn ich nach Deutschland komme, um als Dirigent und Pianist meine Musik live vorzustellen, werden da sicherlich auch viele junge Leute im Publikum sitzen. Mein Konzert soll aber auch eine Reise durch die letzten 30 Jahre sein: angefangen mit "Pretty Woman" und "Robin Hood" bis hin zu "Die Tribute von Panem" und "Phantastische Tierwesen". Einiges davon wird durch Bewegtbilder und Dialoge ergänzt.

AZ: Morricone und Hans Zimmer haben in den letzten Jahren auch den Sprung vom Studio auf die Bühne gewagt. Hat Sie das inspiriert, es ihnen gleich zu tun?

Howard: Absolut. Hans Zimmer ist einer meiner besten Freunde in Hollywood, wir haben schon die Musik für "Batman Begins" und "The Dark Knight" zusammen geschrieben. Er gilt als der exzentrische und elegante Deutsche in Hollywood. Hans hat mir im letzten Jahr sein Apartment in London zur Verfügung gestellt, als ich dort an der Musik für "Phantastische Tierwesen" arbeitete. Ich habe also drei Monate zwischen seinen samtenen Hausschuhen, zahlreichen Synthesizern und Preisen und Trophäen gelebt.

AZ: Nach mehreren Jahrzehnten als Filmkomponist: Welche Momente in Ihrem Job sind die schönsten?

Howard: Wenn du einem Film Musik zufügst, entdeckt der Regisseur dadurch manchmal Dinge und Emotionen in seinem Werk, von denen er vorher nicht wusste, dass sie da sind. Plötzlich ist da vielleicht mehr Tiefsinnigkeit als zuvor, und der Regisseur sagt: "So habe ich das nie gesehen." Das ist immer ein großartiger Moment.

James Newton Howard auf Tournee:

21.11. Berlin, Tempodrom

22.11. München, Philharmonie im Gasteig

23.11. Mannheim, Rosengarten Mozartsaal

25.11. Wien, Wiener Stadthalle (A)

29.11. Hamburg, Elbphilharmonie (zwei Vorstellungen)

30.11. Düsseldorf, Mitsubishi Electric Halle

01.12. Frankfurt, Jahrhunderthalle

Von Katja Schwemmers