Sam Riley
Ein zufriedener Wahl-Berliner
Genau zehn Jahre ist es her, dass die Welt einen blassen Briten names Sam Riley kennenlernte. Damals, im Herbst 2007, kam der Film "Control" in die Kinos, in dem Riley den Joy-Division-Sänger Ian Curtis spielte. Für Riley, heute 37 Jahre alt, war das Biopic nicht nur der Start in eine internationale Karriere: Der Schauspieler verliebte sich am Set in seine Kollegin Alexandra Maria Lara, zog mit ihr nach Berlin, wurde später Vater eines Sohnes. Jetzt ist Riley in der hervorragenden BBC-Produktion "SS-GB" zu sehen. Die Serie (hierzulande bei RTL Crime, ab Dienstag, 14. November, 20.15 Uhr) spielt in einer alternativen Vergangenheit, in der Großbritannien im Jahr 1941 von deutschen Truppen besetzt ist. In dieser feindlichen Welt muss der von Sam Riley gespielte Detective Douglas Archer einen heiklen Mord aufklären ...

AZ: Mr. Riley, Sie leben seit mehreren Jahren in Berlin. Wie gut ist Ihr Deutsch mittlerweile?

Sam Riley: (Auf Deutsch) Perfekt!

AZ: Sollen wir also auf Deutsch weitermachen?

Riley: (Auf Englisch) In Interviewsituationen verschwinden meine Deutschkenntnisse immer ganz plötzlich. Im Alltag komme ich aber zurecht. Ich kann einkaufen und ans Telefon gehen. Und meine Frau hat keine Angst, mich mit unserem Kind alleine zu Hause zu lassen.

AZ: Sie müssen also nicht befürchten, dass Ihre Frau und Ihr Sohn über Sie reden, und Sie verstehen nichts?

Riley: Nein, auf keinen Fall (lacht)! Meine Frau und ich haben immer Englisch miteinander gesprochen, weil ich anfangs kein Wort Deutsch konnte. Und wenn wir zu ihren Eltern fuhren, sprach sie immer Rumänisch mit ihnen. Also verstehe ich das auch ein bisschen. Mein Deutsch hat sich verbessert, seit ich einen Sohn habe. Jetzt lese ich ihm Gutenachtgeschichten vor. Und wenn meine Frau sein Deutsch korrigiert, lerne ich auch noch was dazu!

AZ: Jetzt spielen Sie in einer Serie, in der Großbritannien 1941 von deutschen Truppen besetzt ist. Gleich in der ersten Folge von "SS-GB" sieht man den zerstörten Buckingham Palace, an dem Naziflaggen wehen. Wie hat sich dieser Anblick für Sie als Brite angefühlt?

Riley: Als wir in London gedreht haben, hatte man wirklich das Gefühl, in dieser Zeit zu sein. Die Setdesigner haben da wirklich ganze Arbeit geleistet. Es war schockierend, Soldaten auf den Straßen von London zu sehen und Menschen mit Judenstern, und überall hingen die Naziflaggen. Im Channel gab es während des Zweiten Weltkriegs eine Insel, die tatsächlich von den Nazis besetzt war, aber das war der einzige Ort in ganz Großbritannien. Es hätte aber ganz leicht auch anders sein können.

AZ: Sie haben tatsächlich auf den Straßen von London gedreht?

Riley: Ja, aber vor Drehbeginn ist bei anderen Dreharbeiten irgendetwas in Frankreich passiert, das die BBC nervös gemacht hat. Deswegen mussten wir etwa die Szenen mit den Naziflaggen am Buckingham Palace mit dem Computer nachbearbeiten. Ich glaube, die Queen war ganz froh darüber!

AZ: Wie haben Sie als Kind über die Deutschen gedacht?

Riley: Ich habe das alles natürlich in der Schule gelernt, aber Antisemitismus gab und gibt es überall auf der Welt, und selbst in Großbritannien haben wir Naziaufmärsche. Mein Eindruck von den Deutschen war vielmehr, dass sie uns immer beim Elfmeterschießen schlugen (lacht)!

AZ: "SS-GB" spielt in einer alternativen Vergangenheit. Sehen Sie dennoch eine Verbindung zur heutigen Gegenwart?

Riley: Auf der ganzen Welt wird die Politik entweder rechter oder populistischer. Als wir mit den Dreharbeiten anfingen, war Donald Trump noch nicht Präsident, und Großbritannien hatte sich noch nicht entschieden, Europa zu verlassen. Ich habe mich beim Dreh gefragt, wie ich reagieren würde in einer Situation, wie sie die Figur durchmacht, die ich spiele. Detective Archer ist klar, dass auch unter deutscher Besatzung noch immer eine funktionierende Polizei benötigt wird, also macht er seinen Job, auch unter diesen Umständen. Er ist Witwer und hat einen jungen Sohn. Viele Menschen müssen verstehen, dass er lieber seine Kinder schützt, als sich dem Widerstand anzuschließen.

AZ: Erinnert Sie "SS-GB" auch ein bisschen an die Amazon-Serie "The Man In The High Castle"?

Riley: Ich hatte davor nie davon gehört, und ich glaube, Philipp Kadelbach (der Regisseur - d. Red.) auch nicht. Ich erinnere mich, wie Philipp während der Dreharbeiten davon erfuhr. Er sagte nur: Oh scheiße! Das Konzept von beiden Serien ist ähnlich, sie erzählen aber eine völlig andere Geschichte. Schon 1942 handelte übrigens der englische Film "Went the day well?" davon, wie eine deutsche Invasion in Großbritannien aussehen könnte. Offenbar hat das schon damals die Menschen fasziniert.

AZ: Glauben Sie, eine Serie wie "SS-GB" wäre auch im deutschen Fernsehen möglich?

Riley: Die BBC hat einen ausgezeichneten Ruf, tolle Fernsehserien zu machen. Und viele der größten Schauspieler - mich nehme ich da mal aus - haben im britischen Fernsehen angefangen. Übers deutsche Fernsehen kann ich nicht viel sagen. Aber: Auch die BBC bringt Krimis im "Tatort"-Stil (lacht).

AZ: Ihre Karriere begann 2007 mit dem gefeierten Biopic "Control" ...

Riley: Der Film kam vor genau zehn Jahren in die Kinos und hat mein Leben völlig verändert. Davor war ich Musiker, und plötzlich hatte ich eine neue Karriere als Schauspieler. Ich traf meine Frau, zog nach Deutschland. Und wegen dieses Films bekomme ich heute noch immer Arbeit. Man verbindet mich immer noch am ehesten mit dieser Rolle. Ich werde nicht oft auf der Straße angesprochen, aber wenn doch, dann in neun von zehn Fällen wegen "Control". Ich werde immer stolz sein auf diesen Film.

AZ: Nach "Control" nannten Sie die englischen Zeitungen den heißesten britischen Schauspieler. Die ganz große Hollywood-Karriere ist dann aber doch ausgeblieben.

Riley: Ich ging nach "Control" zwar nach Hollywood und hatte dort einen Agenten. Ich bekam auch fast eine große Rolle in einem großen Film - der dann aber doch nicht gemacht wurde. So ist das halt. Mir war nach "Control" schon klar, dass so ein Hype schnell vorübergehen kann. Ich habe aber nicht das Gefühl, dass ich etwas verpasst habe. In Hollywood ist der Wettbewerbsdruck immens. So lange es Leute gibt wie Brad und George und Matt, ist Sam Riley doch noch eine kleinere Nummer am unteren Ende der Nahrungskette (lacht).

AZ: War es die richtige Entscheidung, kurz nach "Control" nach Deutschland zu ziehen?

Riley: Ich glaube nicht, dass sich meine Karriere anders entwickelt hätte. Mir war klar, dass es riskant sein würde. Hätte ich keine Arbeit gefunden, hätte ich mir meine Entscheidung vielleicht noch einmal überlegt. Aber ich liebe Berlin, es ist eine tolle Stadt. Ich bin froh, dass mein Sohn in Deutschland aufwächst und nicht in Großbritannien.

AZ: Warum?

Riley: Ich komme aus Leeds, da geht es härter zu als in Berlin. Das Bildungssystem ist in Deutschland viel besser. Aber klar, ich vermisse auch einiges. Das Essen meiner Mutter zum Beispiel. Sie macht tolles Roastbeef mit Yorkshire Pudding. Und ich liebe es, im Pub zu sein. But I don't mind Kneipen (lacht).

AZ: Wie sähe Ihre alternative Geschichte aus, wenn Sie damals nicht die Rolle in "Control" bekommen hätten? Würden Sie noch immer Musik machen?

Riley: Ich würde es zumindest versuchen. Oder vielleicht doch nur in einem Pub arbeiten (lacht). Vor "Control" war mein Plan, ein zweites Album zu schreiben. Ich dachte mir damals, ich könnte den Film nutzen, um meine Musikerkarriere voranzubringen (lacht). Und dann wurde mir klar, dass das eine dumme Idee wäre. Aber ich habe dieses Jahr wieder damit angefangen, an Songs zu arbeiten. Was ich damit mache, weiß ich noch nicht. Eine Band habe ich auch noch nicht. Aber ich habe in Berlin Freunde, die Musiker sind. Zum ersten Mal seit zehn Jahren überlege ich mir ernsthaft, wieder Musik zu machen.

AZ: Zurück zur Schauspielerei: In Deutschland kennt man Ihre Frau wahrscheinlich besser als Sie!

Riley: Sehr nett von Ihnen, dass Sie "wahrscheinlich" sagen. Sie ist definitiv berühmter als ich (lacht)!

AZ: Gibt es zwischen Ihnen einen Wettbewerb darüber, wer die besseren Rollen bekommt?

Riley: Nun, wir bewerben und zumindest nie auf dieselben Rollen (lacht)! Es ist nicht so, dass ich sage: Ich spiele mit Angelina Jolie! Und sie: Und ich mit Gerald Butler! Uns amüsiert das eher. Auch wenn das jetzt sehr langweilig klingt: Wir freuen uns füreinander!

AZ: Wie bekommen Sie und Ihre Frau das hin, als Schauspieler Zeit für Ihr Kind zu finden?

Riley: Das hat bislang hervorragend geklappt. Als meine Frau "Geostorm" drehte, reisten wir zusammen in die USA. New Orleans, wo gedreht wurde, war großartig. Unser Sohn hat dort seine ersten Schritte gemacht. Und Gerald Butler ist ein toller Typ! Bis jetzt hatten wir Glück, dass wir uns immer abwechselnd um unseren Sohn kümmern können. Noch ist der Tag nicht gekommen, an dem Alexandra am selben Tag von Stephen Spielberg verpflichtet wird wie ich von Martin Scorsese. Dann hätten wir wohl ein Problem (lacht)!

AZ: Sie haben zuletzt zusammen mit Ihrer Frau "Robbi, Tobbi und das Fliewatüüt" gedreht, Ihren ersten gemeinsamen Film seit "Control". Was kommt als nächstes?

Riley: Vor ein paar Tagen erst hat mich ein Freund angerufen, der Regisseur ist. Er fragte mich, ob er extra für mich eine deutsche Ehefrau in seinen Film schreiben soll. Natürlich, habe ich gesagt (lacht)! Wir wollten nach "Control" gerne wieder zusammen drehen, uns war aber auch klar, dass die Leute nicht unbedingt ein verliebtes Paar auf der Leinwand sehen wollen.

AZ: Bei Brad Pitt und Angelina Jolie wollten die Leute das aber ...

Riley: Stimmt. Aber das ist ja auch ein Beispiel dafür, warum man das nicht unbedingt machen sollte (lacht)!

Von Sven Hauberg