AZ: Sie mussten für dieselbe Gage gleich zwei Frauen spielen. Ein schlechter Deal?
Julianne Moore: Da hätte ich wohl besser verhandeln sollen! Im Ernst, eine solche Gelegenheit erhält man als Darstellerin nicht allzu oft. Es macht natürlich Spaß, die eine Schwester zu spielen und gleichzeitig die andere, die ein begehrliches Auge auf das Leben ihrer Schwester geworfen hat. In der praktischen Umsetzung ist so etwas allerdings aufwendig. Ich musste Szenen, in denen beide auftreten, doppelt drehen mit anderen Kameraeinstellungen. Bei beiden Figuren trug ich jeweils eine Perücke und hatte ein völlig anderes Make-up. Zwischen dem Dreh derselben Szene in der einen und dann der anderen Rolle vergeht dann relativ viel Zeit, wobei am Set absolut nichts verändert werden darf. Aber das lässt sich alles regeln.
AZ: In "Suburbicon" geht es neben der Familie Lodge auch um deren neue afroamerikanische Nachbarn, die ein weißer, rassistischer Mob massiv bedrängt. Die Parallelen zum Trump-Amerika sind auffällig ...
Moore: Wobei der Film ja nicht nur in den Fünfzigern spielt. Auch das Drehbuch der Coen-Brüder entstand bereits vor über zehn Jahren. Aber Geschichte wiederholt sich ja bekanntlich. Die Geschehnisse um die neuen Nachbarn der Familie Lodge, die George Clooney im Film ebenfalls erzählt, passierten tatsächlich 1957 in Levittown, Pennsylvania. Damals bedrängte ein rassistischer weißer Mob eine schwarze Familie massiv. Solche Strömungen hat Donald Trump wieder in Bewegung gebracht: Fremdenangst, Abgrenzung - er hat eine Art neonazistische Nationalistenbewegung erweckt. Man muss deshalb wachsam bleiben und diese Dinge immer wieder deutlich ansprechen.
AZ: Ihre Familie hat ja europäische Wurzeln. Ihre Mutter stammt aus Schottland ...
Moore: Ich bin das klassische Beispiel einer Amerikanerin der ersten Generation. Meine Mutter kam mit ihrer Familie in die Vereinigten Staaten, als sie zehn Jahre alt war. Sie bekam erst mit 27 die amerikanische Staatsbürgerschaft. Ihre Identität war also immer sehr schottisch, und das hat sie uns auch mitgegeben. Sie hat in mir die Vorstellung verankert, dass ein Amerikaner immer aus mehreren Elementen besteht. Wir sind alle Immigranten, abgesehen natürlich von Ureinwohnern und Menschen, die dort gegen ihren Willen hingebracht wurden.
AZ: Sie spielen demnächst im Thriller "Bel Canto" eine gekidnappte Operndiva und singen darin ...
Moore: Gott bewahre, ich singe keine Oper. Das würden Sie nicht hören wollen. Die großartige Renée Fleming leiht meiner Figur ihre Singstimme.
AZ: Ihre Filmfiguren sind immer besondere Frauen, oft auch mit außergewöhnlichen Kostümen und besonderem Make-up. Hilft Ihnen das bei der Verwandlung?
Moore: Schon, aber ich muss eine Figur bereits im Drehbuch finden. Das hat interessanterweise auch etwas mit Stimme zu tun. Sie muss zu mir sprechen. Ich muss sie hören können und vor meinem geistigen Auge sehen. Wenn ich ein Drehbuch lese und die Figur schweigt, dann lese ich es noch einmal. Wenn sie auch dann schweigt, kann ich die Rolle leider nicht spielen. Man muss wissen, wo die eigenen Stärken und Schwächen liegen. Ich gehöre nicht zu den Schauspielern, die von sich behaupten, sie könnten alles spielen. Eine solche Aussage zeugt nicht von Verantwortungsbewusstsein, finde ich.
AZ: Inwiefern?
Moore: Ich trage als Darstellerin die Verantwortung dafür, was ich mit meiner Figur anfange. Wenn ich ans Set komme und habe keinen Plan für meine Rolle, sollte man mich rausschmeißen. Dann kann ich meinen Job nicht richtig erledigen. Ich mag es nicht, wenn es heißt, ein Regisseur habe eine Performance aus dem Schauspieler "herausgeholt". Das ist nicht ihr Job. Ein Regisseur hat genug andere Dinge zu tun, wenn er seinen Film inszeniert. Der Schauspieler muss bereits wissen, was er tut, wenn er am ersten Drehtag an das Set kommt. Die emotionalen Effekte sollten sich dann natürlich beim Spielen aus den Szenen ergeben.