Logan - The Wolverine
Filmbewertung: ausgezeichnet
Starttermin: 02.03.2017
Regisseur: James Mangold
Schauspieler: Hugh Jackman, Sir Patrick Stewart, Dafne Keen
Entstehungszeitraum: 2017
Land: USA
Freigabealter: 16
Verleih: Fox
Laufzeit: 137 Min.
Sir Patrick Stewart
"Ich plane noch lange nicht, mich auf den Friedhof tragen zu lassen"
Ein Gespräch mit Sir Patrick Stewart (76) ist vor allem eines: zu kurz. Der weltgewandte und beredte Schauspieler aus der nordenglischen Kleinstadt Mirfield, der sich mit "Logan" (Kinostart: 2. März) wohl von der "X-Men"-Filmreihe verabschiedet, hat die Gabe, einen gewöhnlichen PR-Termin zu einer gepflegten Konversation zu erheben. Die passt eher in einen britischen Gentleman's Club, als in das hektische Umfeld der Berlinale, wo "Logan" Premiere feierte. Nachdenklich, tiefsinnig, um den Zustand der Welt besorgt - trotzdem blitzen Witz und Lebensfreude immer wieder in den Augen des überzeugten Europäers auf, der im Interview nicht nur über Schlaflosigkeit sinniert, sondern auch seine eigene Sterblichkeit thematisiert.

AZ: Sie beklagten sich vor Kurzem bei Twitter, dass Sie in der Nachbarschaft der Mächtigen zuletzt unruhige Nächte verbrachten. Haben Sie diese Nacht gut geschlafen? Ihr aktuelles Hotel ist nicht weit vom Kanzleramt entfernt ...

Sir Patrick Stewart: (lacht) Ja, ich weiß. Ich kann es auch gar nicht glauben, dass ich aus dem Hotel auf den Potsdamer Platz schaue. Ich bin jetzt 76 Jahre alt, Berlin hat eine wichtige Rolle in meinem Leben gespielt, länger, als Sie auf der Welt sind. Es ist sehr aufregend, hier zu sein. Um Sie zu beruhigen: Wir haben letzte Nacht sehr gut geschlafen.

AZ: Was war in Ihrer besagten schlaflosen Nacht im Hotel das Problem?

Stewart: Wir waren bei Freunden in Washington D.C. zu Besuch. Alles politische Insider. Wir wollten erörtern, was man jetzt tun könne. Sie sind alle Demokraten, so wie ich. Obwohl: Eigentlich bin ich Sozialist. Das aber nur nebenbei. In Washington schliefen wir in einem schönen Hotel, in dem ich schon öfter zu Gast war. Von dort aus hat man einen Blick auf das Weiße Haus. Zum ersten Mal fühlte ich mich nicht wohl bei dem Ausblick. Ich hatte eine Horrornacht, eine der schlimmsten, an die ich mich erinnern kann. Am nächsten Morgen fragte ich mich auf Twitter, ob es damit zusammenhängen könnte, dass Donald Trump nur 300 Meter entfernt war.

AZ: Haben Sie denn wenigstens mit Ihren Freunden einen Schlachtplan entwickeln können?

Stewart: Ich persönlich kann sehr wenig tun, weil ich kein Staatsbürger der USA bin. Gleichwohl plane ich, die Staatsbürgerschaft zu erlangen. Im Moment bin nur ein "resident alien" - ein Ausländer mit Aufenthaltsgenehmigung. Immer wieder stellen US-Bürger deswegen mein Recht auf politisches Engagement in Frage. Aber ich kann nur wiederholen, was ich ihnen immer sage: Was auf dem Capitol Hill passiert, hat Auswirkungen auf den ganzen Planeten. Niemand ist gegen die Entscheidungen aus dem Oval Office immun. Ich wollte bei meinen Freunden herausfinden, ob es noch Optimismus gibt für die Zukunft.

AZ: Gibt es ihn?

Stewart: Ich habe sehr, sehr wenig gefunden. Es ist bestürzend, dass ein so offensichtlich dummer und ungeeigneter Mann in dieser Postion ist. Es gibt nicht umsonst das Sprichwort: "Wer nach Macht strebt, ist ihrer nicht würdig." In nur drei Wochen hat Donald Trump viele Fehler und Schwächen offenbart, ganz zu schweigen von den katastrophalen Entscheidungen, die er traf.

AZ: Vor Populismus ist man auch in Europa nicht gefeit: In Ihrer Heimat stimmte eine Mehrheit der Wähler für den Brexit.

Stewart: Ein hässliches Wort für eine hässliche Entscheidung. Als das Vereinigte Königreich 1973 endlich in die EU eintrat, war ich so stolz, dass wir alle - Briten, Deutsche, Holländer, Franzosen, Italiener - zur selben Gemeinschaft gehören. Sehen Sie, ich wurde 1940 geboren und habe noch vage Erinnerungen an den Zweiten Weltkrieg und seine tragischen Aspekte. Für mich hatte die Europäische Union immer eine immense Bedeutung, weil wir durch sie das Bewusstsein entwickeln konnten, dass wir alle zusammengehören, dass wir nur gemeinsam stark sind, dass niemand besser ist als der andere.

AZ: Der Brexit muss ein Schock gewesen sein ...

Stewart: Vor sechs Wochen reiste ich mit meiner Frau nach Genf und danach weiter nach Brüssel: Ich schaute aus dem Fenster des Autos, und plötzlich wurde mir bewusst, nicht mehr dazuzugehören. Eine traurige Erkenntnis. Zumal jeder Ökonom die Hände über den Kopf zusammenschlägt ob der Effekte, die unser Ausscheiden aus der EU für die Wirtschaft mit sich bringt. Wobei: Betroffen sind nur die kleinen Leute. Die Reichen werden immer reich sein. Aber vielleicht sollten wir uns auch ein bisschen über "Logan" unterhalten ...

AZ: Tun wir das nicht schon in gewisser Weise? "Logan" ist, wie alle "X-Men"-Filme, sehr zeitgemäß und beschäftigt sich mit aktuellen Themen. Waren Sie sich dessen beim Dreh bewusst?

Stewart: Gar nicht. Erst als ich den fertigen Film vor etwa zwei Monaten das erste Mal sah, wurde es mir klar. Die Bedeutung des Films hinsichtlich der Dinge, über die wir uns gerade unterhalten haben, haute mich um. Abschottung, Grenzmauern, die Angst vor Menschen, die anders sind. Das alles ist mir ein Gräuel. Eine der wichtigsten Dinge, die uns die EU gelehrt hat, ist doch, dass wir unterschiedliche Lebensweisen, unterschiedliche Erziehungen, unterschiedliche Kulturen annehmen müssen. Nur so kann die Welt besser werden. Und doch gibt es da diesen Mann, der Mauern bauen und Türen zuschlagen will.

AZ: Man könnte den Filmemachern seherische Fähigkeiten zuschreiben.

Stewart: Ich war mir dessen nicht gewahr, dass uns die Zeit einholen würde. Es gibt nun Aspekte im Film, die sehr viel über die heutige Situation der Welt aussagen. Wie gesagt, das war immer Teil der "X-Men", aber niemals mit solch einer Aufmerksamkeit heischenden Unmittelbarkeit. Bei "X-Men" ging es immer um Inklusion und darum, an die guten Seiten der Menschen zu appellieren. Weil ein Mensch zwar anders sein kann, aber deswegen doch genauso wert- und würdevoll ist. Das ist auch das Leitmotiv in "Logan", stärker vielleicht als in den vorherigen "X-Men"-Filmen.

AZ: Hugh Jackman hat sich von den "X-Men" verabschiedet: Ist "Logan" auch Ihr letzter Auftritt in der Filmreihe?

Stewart: Zunächst einmal: Die Rente ist für mich noch lange kein Thema. Ich hatte in den letzten 20 Jahren eine außergewöhnlich gute Zeit mit den "X-Men", so wie Hugh auch. Es ist aber aufgrund der Ereignisse in "Logan" durchaus vorstellbar, dass der Film mein letztes Kapitel in der Reihe ist. Freilich sollte man niemals nie sagen. Allein aus dem Grund, dass es sich um eine fiktive Welt mit vielen Möglichkeiten handelt.

AZ: Es gibt eine Szene in dem ziemlich düsteren Film, in der Charles Xavier, Logan und die kleine Mutantin, die er beschützt, bei einem Dinner einen ziemlich perfekten Abend erleben dürfen: Wie sähe denn ein perfekter Abend für Sie aus?

Stewart: Wahrscheinlich sehr ähnlich. Umgeben von Familie und Freunden, mit dem Gefühl von Sicherheit und Liebe, das damit einhergeht. Ein Gefühl, das in meinem Leben, als ich jünger war, nicht immer präsent war. An diesem einen Abend im Film, bei der Dinnerszene mit neuen Freunden, fühlte ich mich persönlich sehr gut aufgehoben. Was ich trotzdem anmerken muss: Diese intime Szene für einen "X-Men"-Film zu drehen, war eine sehr sonderbare Erfahrung. So etwas hatte es vorher noch nicht gegeben.

AZ: In der Tat eine sehr unerwartete Szene ...

Stewart: Die Dinge in einen Zusammenhang bringt und die Figuren greifbar macht. In ihrer emotionalen Intensität ist es in meinen Augen die Schlüsselszene des Films.

AZ: "Logan" thematisiert auch das Alter und die Todessehnsucht. Beschäftigen Sie sich mit Ihrer Sterblichkeit?

Stewart: Oh ja. Zum ersten Mal werde ich mir bewusst, dass meine Zeit auf der Welt begrenzt ist. Als ich jünger war, gab es kein Ende. Mein Leben würde immer weitergehen, dachte ich. Jetzt bin ich mit einer Frau verheiratet, die einige Jahrzehnte jünger ist als ich: Meine Endlichkeit bringt eine zusätzliche Intensität in unsere Beziehung. Wiewohl ich noch lange nicht plane, mich auf den Friedhof tragen zu lassen.

AZ: Wobei Sie darüber auf Twitter Scherze machen. Haben Sie Angst vor dem Tod?

Stewart: Früher hatte ich Angst, jetzt nicht mehr. Ich beschäftige mich häufiger mit meiner Sterblichkeit und lerne, diesen Gedanken zu akzeptieren.

AZ: Was würden Sie denn den nachfolgenden Generationen mit auf den Weg geben?

Stewart: Ich habe einen 16-jährigen Enkel, der sich in einer Welt zurechtfinden muss, die immer engstirniger wird. Deswegen würde ich ihm und allen anderen raten: Schaut über den Tellerrand! Seid offen!

Von Andreas Fischer