Franka Potente
"Ich hatte eine Menge Glück"
Schauspielerin Franka Potente ist seit Jahren in den USA erfolgreich und in Los Angeles zu Hause. Dort lebt die 42-Jährige mit ihrem Mann, dem Schauspieler Derek Richardson (spielt unter anderem in "Anger Managment" an der Seite von Charlie Sheen), und ihren beiden Töchtern. Aus dem Mädchen, das aus der Kleinstadt Dülmen auszog, um erst für Tom Tykwer als "Lola" mit knallroten Haaren durch Berlin zu hetzen und später an der Seite von den Superstars des US-Kinos, Johnny Depp ("Blow", 2001) und Matt Damon "Die Bourne Identität", 2002/2004) wurde ein Star, dem der Sprung nach Hollywood glückte. In der ARD feiert Potente jetzt als Hauptdarstellerin der Island-Krimis ihr Comeback im deutschen Fernsehen. Sie spielt in den beiden Auftaktfilmen (Donnerstag, 27.10. und 3.11., 20.15 Uhr, im Ersten) Solveig Karlsdottir, eine Krimiautorin, die in echte Mordfälle gerät ...

AZ: Frau Potente, demnächst sind Sie als Ermittlerin der Star der ARD-"Island-Krimis". Was verbinden Sie mit Reykjavik und Island?

Franka Potente: Wir haben da vor einem Jahr für drei Monate richtig gelebt. In einem Sommer, in dem es nicht dunkel wurde, wo Schlafen schwierig ist und man nachts aufwacht und es einfach überall total hell ist. Wind, Meer, schwarzes Vulkangestein und Energie, die aus dem Boden quillt. Die Isländer sagen, sie können ein Haus im Winter für 24 Stunden beheizen, und das kostet genau so viel wie eine Familienpizza.

AZ: Setzt das Tageslicht nicht auch Energien frei?

Potente: Wäre ich noch einmal Mitte 20, hätte ich es sicher auch genutzt, um zu feiern. Aber mein Mann und ich hatten unsere beiden Kinder dabei, und ich musste auch schlafen. Morgens raus war manchmal schwierig. Die Isländer sind das gewohnt, die machen nicht mal die Rollläden zu, aber wir haben mit Schlafbrillen versucht, es dunkel zu bekommen.

AZ: Bringt die Helligkeit Kinder nicht komplett aus dem Konzept?

Potente: Die finden das super. Deren Tage werden viel länger, weil denen das Zeitempfinden abgeht. Solange es draußen nicht dunkel ist, muss doch niemand ins Bett.

AZ: Als eher rationaler Mensch, wie gehen Sie mit der Mystik der Krimi-Reihe um?

Potente: Ich habe Respekt davor. In Island hat Mystik ihren festen Platz. Es gibt einen Elfenpark und ein Elfenkomitee. Für mich selbst habe ich das als einen öffentlichen Raum für Träume übersetzt. Für Märchen, die dort sicher aufgehoben sind, wie ein Stück Kindheit. Das kennt man anderswo nicht, dass Erwachsene das so ernst nehmen und verteidigen. In einem Zeitalter, geprägt von Multimedia und Social Media, empfinde ich das als sehr schön und wichtig. Da gibt es auch unheimlich viele Kreative, die Musik machen und schreiben. Ich habe das Gefühl, die zapfen das an und tanken so auf. Meine Kinder dachten, dass sie bei den Vorgärten ganz leise sein müssten, denn in Island stehen da kleine Häuser anstatt wie bei uns Gartenzwerge.

AZ: Mystik und Intuition werden in den Filmen fast synonym verwandt und in Persona der als Kind verstorbenen Schwester von Ihrer Figur Solveig verbildlicht. Haben Sie das auch so empfunden?

Potente: Das ist eine Nebenhandlung, aber die Schwester ist wegweisend. Anfangs war ich da skeptisch, weil ich Sorge hatte, ob das mit so einer visuellen Entsprechung funktioniert. In Romanen klappt so etwas immer super, aber im Film ist das schwieriger. Für die Rolle war mir wichtig, dass wir Regeln dieser Mystik klären. Nur ich sollte die Schwester sehen können. Meine Film-Mutter, die Hildegard Schmal spielt und die das super löst, hat eher eine Affinität zu so etwas. Sie hat mich beraten und sagte Sachen wie: Stell dir diese Erscheinung doch eher als einen Windhauch vor. Was man im Film von ihr sieht, passt auch ganz gut zu ihr. Sie war meine Brücke.

AZ: Der Drehbuch-Autor Don Bohlinger sagt über Ihre Solveig: "Sie ist eine Art isländischer, weiblicher Colombo - extrem smart, mit guter Beobachtungsgabe, die gerne einmal unterschätzt wird." Was hat Sie an dieser jungen, isländischen Miss Marple fasziniert?

Potente: Miss Marple gefällt mir. Ich fand Solveig menschlich, sie ist unperfekt und stolprig. Ich finde Leute spannend, die hobbymäßig etwas machen, die sich sicher fühlen auf einem Terrain, aber eigentlich eine Liebe zu etwas anderem in sich tragen. Die stolpern in Dinge rein und ziehen die an. Das war bei Solveig auch so. Sie entspricht eher einem Gegenmodell zu mir. So könnte ich aber sein, hätte ich nicht den Weg mit Familie und Kindern eingeschlagen. Ich kenne viele Frauen die so sind. Die halb gewollt kinderlos leben und sich damit anfreunden, gleichzeitig aber nicht sicher sind, ob das so sein soll.

AZ: Wie lebt es sich in L.A., dem Sehnsuchtsort aller Schauspieler?

Potente: Damit werde ich immer wieder konfrontiert. Mir ist das eher passiert. Ich hatte eine Menge Glück. "Lola rennt" kam damals gut an und dank meiner Agentur habe ich immer wieder da gearbeitet. Habe dort meinen Mann kennengelernt und bin geblieben. Es gab nie einen großen Lebensplan. Damals an der Schauspielschule wollte ich in Münster ans Stadttheater. Das war mein Horizont. Wäre das so gekommen, wäre das fantastisch gewesen - es kam aber anders. So ist das Leben.

AZ: Können Sie etwas mit diesem überhöhten L.A.-Bild anfangen?

Potente: Das ist ein Klischee. Wer in L.A. lebt, hat einen anderen Alltag. Wie wenn in Berlin jemand täglich zum Ku'damm fahren würde. In Beverly Hills bewegt man sich eigentlich nicht, das ist für Touris und ältere Leute. Man rennt auch nicht ständig über einen roten Teppich in eine Premiere rein. Mit dem Alltag einer Schauspielerin, die nebenbei Familie hat, hat das wenig zu tun. Aber sicher, L.A. ist eine Metropole. Gedreht wird da gar nicht so viel - und wenn dann eher Comedy. Viele Kinofilme entstehen in Kanada. Das ist billiger. Ich werde oft danach gefragt und bin in einer Bredouille. Als Schauspielerin wohne ich da zufällig. Ich komme nicht umhin, dieses Sehnsuchtsvolle ein wenig zu zerstören. Das ist aber in jeder Stadt so. Wenn ich als Tourist für vier Tage nach Paris fahre, ist das etwas ganz anders als wenn ich in Paris lebe. Da bewege ich mich an anderen Orten. Ich kann ja keine Wohnung am Louvre bezahlen.

AZ: Den Alltag strukturieren also eher die Kinder, oder?

Potente. Das ist auch bei sehr viel berühmteren Schauspielern so. Es gibt niemand, der ständig auf Premieren ist. Die einzigen Leute, die tagtäglich geschminkt werden und sich Gedanken machen, wo sie was machen, sind die Kardashians, solche Reality-Format-Menschen.

AZ: Gibt es Alltägliches, auf das man als Mutter in L.A. mehr achtet als in Deutschland?

Potente: Die Herausforderungen in Berlin, New York und L.A. sind sicher ähnlich. Ich würde nirgendwo ein fünfjähriges Kind alleine und ohne Aufsicht hinschicken. Das Schulsystem in den USA ist sicher ein Problem. In Europa und in Deutschland ist Schule umsonst. In den Staaten sind die richtig guten Schulen privatisiert.

AZ: Was passiert, wenn die Einschulung ansteht?

Potente: Das geht schon im Kindergarten los, das ist wie eine Vorschule hier und manchmal nervig. Privatschule heißt dabei nicht nur gefühlte 50.000 Dollar pro Jahr und Kind, sondern bedeutet auch, dass da nur weiße Kids drin sind. Wir möchten nicht, dass unsere Kinder so aufwachsen. Die sollen nicht das Gefühl haben, die Welt bestünde nur aus weißen Menschen. Gleichzeitig wollen wir, dass alles sicher ist. Das ist ein Thema für uns. Das zeigt sich auch an Diskussionen, die wir über Waffen führen. Es ist nicht so, als gäbe es in Europa keine Probleme damit. Typen, die mit einer Axt in die Bahn gehen. Das ist absurd.

AZ: Wie nehmen Sie Europa und Deutschland aus der Distanz wahr?

Potente: Diese Brexit-Geschichte hat mich völlig schockiert. Ich hätte nicht gedacht, dass das so kommt. Aber die Flüchtlingsfrage und wie Angela Merkel das angegangen ist, das hat in Amerika zunächst sehr beeindruckt. Ich finde das erst mal humanitär toll. Jetzt kommt die Sprache auf die Vorfälle, aber ich denke, wenn so viele Menschen kommen, passiert so etwas eben auch. So wie ich die Deutschen kenne, werden die sich darüber Gedanken gemacht haben. Das ist keine Hauruck-Sache. Man ist sich darüber im Klaren, dass das schwierig ist. Manches zeigt sich erst nach einer Weile. Trotzdem finde ich toll, dass man in die Verantwortung geht. Man hat nur ein Leben. Sich auf den Standpunkt zu stellen, das ist meins und da kann keiner ran - das geht nicht. So kann man sich nicht aus der Affäre ziehen. Das ist, was die Briten im Endeffekt machen. Man redet da viel drüber, gerade wenn es um Hillary Clinton geht. Ich hätte Bernie Sanders inhaltlich super gefunden. Angesprochen darauf sage ich immer: In Deutschland haben wir schon ewig eine Frau. Das wäre doch toll und modern.

AZ: Wie würden Sie auf eine Wahl Trumps reagieren? Käme Auswandern in Frage?

Potente: Ich kann dessen Mist nicht mehr hören. Wir haben im Spaß auch schon übers Auswandern gesprochen. Aber ich kann mir nicht vorstellen, dass es dazu kommt und er gewinnt.

AZ: Beruflich haben Sie sich die letzten Jahre in Deutschland rar gemacht, oder täuscht der Eindruck?

Potente: Mein Lebensmittelpunkt ist auf der anderen Seite des Atlantiks, und ich habe zwei kleine Kinder. Das hat nichts mit Deutschland zu tun. Ich bin auch nicht in Schweden oder so. Ich will bei den Kindern sein - und ich kann die nicht immer mitnehmen. Da muss man harte Entscheidungen treffen. Immer hin- und herfliegen geht nicht. Man verpasst Geburtstage. Gerade war meine Tochter krank, und ich war nicht da. Es ist nicht schön, wenn Mami dann nicht da ist.

AZ: War es daher praktisch, dass Ihr Mann beim Dreh der beiden Krimis dabei war?

Potente: Das war Bedingung. Er hat vorher mit Charlie Sheen eine Serie gedreht, und da war lange nicht klar, ob die zu einem Ende kommt oder nicht. Das haben wir abgewartet. Sonst hätten wir das Island-Projekt nicht gemacht. Das wäre nicht gegangen, da es zu lange war und es für mich nicht die Möglichkeit gegeben hätte, zurückzufliegen, weil ich jeden Tag gearbeitet habe.

AZ: Wie wird der deutsche Film in den Staaten wahrgenommen?

Potente: Christoph Waltz hat sehr viel für den deutschen Film gemacht. In Meetings sagen die Leute immer wieder: Ihr Deutschen, ihr seid richtig witzig. Das verdanken wir Waltz. Den finden die super. Er macht das irre gut! Der gewinnt mit Tarantino zwei Oscars! Oder auch Nina Hoss in "Homeland", irre! Kürzlich traf ich Daniel Brühl in L.A. bei einem Meeting. Da tut sich was. Die meisten die kommen, sind Australier oder Briten, weil das deren Muttersprache ist. Ansonsten kreist die Branche sehr businessmäßig um sich selbst. Was dort beeindruckt, ist, wenn ein Film gute Zahlen liefert.

AZ: Was bezeichnen Sie als Heimat? Ist das Deutschland oder eher L.A.?

Potente: Es ist beides. Heimat muss aber nicht an einen Ort gebunden sein. Es gibt die eine Geschichte, die hat damit zu tun, wo man aufwächst. Das ist Deutschland. Aber ich schreibe auch eigene Geschichte damit, dass ich eigene Kinder habe. Bei mir ist das in zwei Heimaten gespalten. Ganz schmalzig würde ich sagen: Heimat ist da, wo das Herz ist. Es gibt die Geschichte, die spielt in der Vergangenheit, aber es gibt ja auch das Jetzt. Heimat kann auch das Drehbuch sein, mit dem ich mich seit einem Jahr beschäftige - das ist eine abstrakte Art von Heimat. In dessen Welt fühle ich mich zu Hause. Ein gutes Buch kann einem eine intellektuelle Heimat bieten. Das hat sich auch ein bisschen geändert, weil wir multimedial so verbunden sind. Heimat hat für mich auch immer etwas mit Warten und Distanzen zu tun. Die nehme ich so nicht mehr wahr. Mit Oma und Opa sprechen wir via FaceTime beim Frühstück. Alles ist vernetzt.

AZ: Zeitunterschiede und Distanzen verschwinden ...

Potente: Ja, meine Freunde sehe ich bei Facebook, auf FaceTime oder via Skype. Da fragt man oft: Wo bist du eigentlich gerade? Weil man nicht weiß, wo man die Person gerade erwischt.

Von Denis Demmerle