Im Namen meiner Tochter - Der Fall Kalinka
Filmbewertung: überzeugend
Starttermin: 20.10.2016
Regisseur: Vincent Garenq
Schauspieler: Daniel Auteuil, Marie-Josée Croze, Sebastian Koch
Entstehungszeitraum: 2016
Land: F / D
Freigabealter: 12
Verleih: Koch Media (Filmagentinnen)
Laufzeit: 86 Min.
Sebastian Koch
Nur ein paar LKWs mehr ...
Sebastian Koch (54) scheint prädestiniert für große Rollen zu sein: Er spielte Klaus Mann, Graf Stauffenberg, Alfred Nobel und Dr. Oetker. Und seit "Das Leben der Anderen" (2006) ist der gebürtige Karlsruher auch auf internationalem Parkett gefragt. Gleich zwei Produktionen mit dem charmanten Akteur laufen derzeit in den Kinos: "Nebel im August" und ab 20. Oktober "Im Namen meiner Tochter - Der Fall Kalinka", den Koch im Sommer auf dem Münchner Filmfest präsentierte. In der Geschichte, die auf einer wahren Begebenheit beruht, spielt er den Lindauer Arzt Dieter Krombach, der sich an seiner Stieftochter vergangen haben soll - mit tödlichen Folgen. Beim Interview-Termin zeigt sich Sebastian Koch bestens gelaunt und ziemlich hungrig. Nachdem er für eine Rolle in "Werk ohne Autor", dem neuen Film seines Freundes Florian Henckel von Donnersmarck, jüngst mehrere Kilo abnehmen musste, nascht Koch während des Gesprächs immer wieder Süßes. Allüren? Fehlanzeige. Stattdessen: Begeisterung!

AZ: In "Im Namen meiner Tochter - Der Fall Kalinka" spielen Sie einen angesehenen Arzt, der 1982 mutmaßlich seine Stieftochter missbraucht und getötet haben soll und 1997 gestand, eine 16-jährige Patientin unter Narkose vergewaltigt zu haben. Fiel es Ihnen schwer, sich diese Figur zu erarbeiten?

Sebastian Koch: Dieter Krombach ist tatsächlich ein spannender Charakter. Ich glaube felsenfest, dass Menschen wie er gar nicht davon ausgehen, dass sie etwas Schlechtes tun. Für mich ist das ein Verrücken der Realitäten, der Sichtweisen. Ich denke, dass Krombach für sich ein Gebilde aufgebaut hat, in dem das, was er getan hat, für ihn richtig erschien. Dass das den Mädchen sogar gefallen haben könnte! Das zu erarbeiten ist meine Aufgabe als Schauspieler, diese verrückte Wahrnehmung der Realität, die in sich komplett logisch erscheint. Je genauer und perfekter es mir gelingt, dies zu verinnerlichen und darzustellen, desto glaubwürdiger und überzeugender ist es. Hinzukommt: Ärzte galten Ende der 70er- und 80er-Jahre noch als Halbgötter in Weiß, denen man solche Taten einfach nicht zutraute.

AZ: Damals sagte man noch ehrfürchtig "Herr Doktor".

Koch: Und die Kinder haben "Onkel Doktor" gesagt! Ein Abhängigkeitsverhältnis wie bei Priestern oder Lehrern, das ausgenutzt werden kann und wie wir wissen immer wieder ausgenutzt wird. Krombach hatte einen besonderen Status in Lindau, er war eine Persönlichkeit. Man darf das juristisch so nicht sagen, und ich denke auch nicht, dass er seine Stieftochter vorsätzlich töten wollte: Aber meiner Meinung nach hat er sich eindeutig an ihr vergangen. Und das wollte man einfach damals nicht wahrhaben: Der Herr Doktor, das kann doch nicht sein! Außerdem hat er einen ziemlichen Schlag bei Frauen gehabt. Warum sollte er da kleine Mädchen vergewaltigen wollen?

AZ: André Bamberski, der leibliche Vater des verstorbenen Mädchens, hat 30 Jahre lang für Gerechtigkeit gekämpft und versucht, Krombach vor Gericht zu zerren. Er opferte sich dafür auf. Die Frage ist, war es das wert? Wie sehen Sie das?

Koch: Das ist für mich das eigentliche Hauptthema des Films, das, was mich am meisten interessiert hat. Das erinnert an eine große griechische Tragödie: Einer, der auszieht, um Gerechtigkeit zu erlangen. Und was hat er nun davon? Hat er letztendlich die Befriedigung erfahren, die er dadurch zu bekommen erhofft hat? Ich weiß gar nicht, ob man das so nachempfinden kann. Er ist ein Anderer geworden, hat sein Leben und seine Beziehung aufgegeben. Wie würde ich mich verhalten?

AZ: Sind Sie dabei zu einem Schluss gekommen?

Koch: Das ist eine hochkomplizierte Frage, die nicht einfach zu beantworten ist. Ich hoffe, dass ich mich anders verhalten würde, sich 30 Jahre so einem Wahnsinn auszusetzen, ist für mich persönlich fragwürdig. Vielleicht ist das jetzt missverständlich, was ich sage, aber ich muss immer daran denken, dass diese Menschen doch irgendwie auch beteiligt sind an diesen Tragödien. Wir erleben Bamberski als Steuerberater, als einen, der von der Jagd nach Recht und Strafe völlig besessen ist und dabei seine Frau, seine Familie komplett vernachlässigt. Er ist ein geradezu unangenehmer Mensch, der sich in seinem Leben komplett verrannt hat. Er verliert seine Familie und seine emotionale Existenz - das ist sein Beitrag, der die ganze Geschichte letzten Endes erst ermöglicht hat.

AZ: Trägt er eine Teilschuld am Tod seiner Tochter?

Koch: Ich will nicht sagen, dass er mitschuldig ist, das muss man ganz deutlich trennen. Aber die Frage würde mir schon in den Sinn kommen: Habe ich das mit ausgelöst, bin ich nicht Teil dieses furchtbaren Spiels? Und diese Frage würde mich dazu bringen zu sagen: "Lass es gut sein, es ist passiert. Ich habe eine Mitverantwortung den Lebenden gegenüber."

AZ: Glauben Sie wirklich? Sie haben ja selbst eine Tochter ...

Koch: Wie gesagt, ich hoffe, ich würde einen anderen Weg wählen als Bamberski.

AZ: "Im Namen meiner Tochter - Der Fall Kalinka" ist eine internationale Koproduktion. Seit "Das Leben der Anderen" sind Sie für Ihre Rollen viel in der Welt unterwegs. Wenn Sie zurückdenken, wie hat sich Ihr Leben verändert?

Koch: Na ja, ich bin ja damals nicht gleich auf den internationalen Zug aufgesprungen. Ich war einfach überarbeitet und der ganze Hype hat mich eher abgeschreckt. Zwei Jahre später war ich dann so weit, da habe ich mir in England eine Agentur gesucht. Es kam die Komödie "Albatross", dann die deutsch-kanadische Produktion "Der Seewolf". Und so ging es langsam los.

AZ: Sind Sie glücklich drüber oder wäre es für Sie auch in Ordnung gewesen, weiter auf dem deutschen Parkett zu bleiben?

Koch: Natürlich bin ich sehr glücklich darüber (lacht). Allein die Tatsache, dass im viel größeren englischsprachigen Raum weitaus mehr Chancen bestehen, ein gutes Drehbuch zu finden! Und so viel zu erleben, wie ich die letzten Jahre erlebt habe in diesem Beruf, ist schon ein großes Geschenk.

AZ: Sie haben unter anderem mit Steven Spielberg, Ridley Scott, Tom Hanks und Bruce Willis gedreht. Wie war das für Sie?

Koch: Ach, das ist doch wie überall, es gibt halt nette und nicht so nette Menschen. Klar war ich aufgeregt, als ich Spielberg und Tom Hanks getroffen habe. Aber es kommt immer darauf an, wie einem jemand begegnet. Je nachdem verliert sich da schnell die Aufregung. Und mit Spielberg, der seit Jahrzehnten mit denselben Leuten arbeitet, ist es wie in einer großen Familie. Was Spielberg schafft am Set, ist eine sehr private Atmosphäre. Klar ist da Hollywood vor der Türe, mit einem viel größeren Aufwand als bei einem deutschen Film. Da stehen dann halt für den Dreh 25 statt sechs LKWs. Aber am Set herrscht bei ihm eine unglaubliche Freiheit, er lässt sich überraschen und interessiert sich sehr für seine Schauspieler, was die machen und was die wollen. Das ist einfach toll.

AZ: Was können wir von den Amerikanern lernen?

Koch: Es gibt ja nicht "die" Amerikaner. Mit Bruce Willis zu drehen, war wieder ganz anders. Es gibt überall solche und solche Typen. Manchmal ist man seelenverwandt und fühlt sich verbunden. Und manchmal hat man vielleicht gar nichts miteinander zu tun. Aber ich habe ja das große Glück, dass ich das mitentscheiden kann, durch die Auswahl der Filme, bei denen ich zusage. Das ist ein Hammergeschenk.

AZ: Merken Sie, dass Sie sich dadurch verändert haben?

Koch: Ich bin noch mutiger geworden, "nein" zu sagen, wenn etwas nicht zu mir passt. Egal, ob viel Geld oder Karriere damit verbunden sein mögen. Die Tatsache, dass ich mir selbst getreu geblieben bin, hat mich weit getragen. Damit habe ich früh angefangen, so zu sein, und das habe ich auch beibehalten. Vielleicht bin ich ein bisschen entspannter geworden im Laufe der Jahre. Früher war ich etwa sehr aufgeregt, wenn ich öffentlich reden sollte. Das geht jetzt Gott sei Dank viel besser.

AZ: Man sieht Sie meistens in sehr ernsten Filmen, kaum in Komödien ...

Koch: Schreiben Sie mir eine, ich bin sofort dabei! "Albatross" zum Beispiel war ein superkomischer Film. Aber er lief leider nicht in Deutschland. Dabei war er wirklich entzückend. Verzweifelt und dabei wahnsinnig komisch. Ich hatte in Deutschland noch nicht ein Buch in dieser Qualität vorliegen! Ich mag Komödien sehr gerne, und ich lache halt auch sehr gerne, vor allem der englische Humor ist großartig.

AZ: Wovon träumen Sie eigentlich noch? Beruflich scheinen Sie alles erreicht zu haben.

Koch: Ja, das kann so bleiben. Aber ich habe keine Traumrollen. Bei mir kommt plötzlich etwas auf den Tisch, von dem ich denke: Wow! "Der Seewolf" zum Beispiel: Mir macht es großen Spaß, wenn ich so ein kompliziertes Ding vor mir hab, so einen Typen, der mit seinen bloßen Händen tötet. Da wäre ich ja "im Traum" nie drauf gekommen, so etwas zu spielen. Und so kommt immer wieder etwas daher, bei dem ich sagen kann: "Toll. Das ist es jetzt!" Und das hat dann oft mit mir auch zu tun, sonst würde ich ja nicht so darauf anspringen.

AZ: Vielleicht sind Sie in Ihren Rollen deshalb so bei sich. Bei Ihnen merkt man nicht, dass Sie spielen.

Koch: Das ist ein schönes Kompliment - Danke.

Von Heidi Reutter